Eigentlich leitet Dirk Runge als Bürgermeister der Stadt Burscheid auch deren Ratssitzungen. Am Dienstagabend ist das anders. Er werde nur ein paar Worte sagen, dann aber den Raum verlassen, sagt Runge im Haus der Kunst. „Damit Sie in Ruhe diskutieren und debattieren können“, schiebt er hinterher. Es geht schließlich um Runges Wahl am 20. März, gegen die es einen Einspruch gibt. Nun muss der Rat entscheiden, ob die Wahl des einzigen Bewerbers um das Bürgermeisteramt gültig ist – oder nicht. Runge verlässt also den Raum, damit diskutiert und debattiert werden kann.
Die Wahl ist gültig, entscheidet der Stadtrat einstimmig. Nach nicht einmal zehn Minuten ist die außerordentliche Ratssitzung vorbei.
Aber noch einmal von vorne: Fristgerecht legte das langjährige Burscheider UWG-Ratsmitglied, der Unternehmer Michael Schwarz, im April Einspruch gegen die Wahl Runges ein. Der Vorwurf: Es sei zu Wahlkampfhilfe durch die Burscheider Stadtverwaltung gekommen. So sei Runge für Bürger lediglich über die Verwaltung erreichbar gewesen, im Impressum seiner Wahl-Homepage habe die Adresse des Rathauses gestanden und auch dessen Rufnummer.
Dirk Runge wirkt am Dienstag zu Beginn der Ratssitzung, die er schließlich verlässt, angefressen: „Ich habe mir absolut nichts vorzuhalten“, sagt er. „Wir haben uns im Rahmen der geltenden Rechtslage bewegt.“ Warum er nicht seine Privatadresse in Wahlkampfunterlagen angegeben habe? Für öffentliche Mandatsträger bestehe stets eine abstrakte Gefahrenlage, aber immer wieder komme es auch zu konkreten Angriffen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung. So etwa Ende 2015 im Servicebüro des Energieversorgers Belkaw. Damals greift ein 67-jähriger Mann eine Service-Mitarbeiterin der Belkaw unvermittelt mit einem Messer an und verletzt sie am Kopf und Hals.
In Burscheid gebe es außerdem Reichsbürger. Diese erkennen die staatlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht an. Immer wieder müssten Hausverbote für solche Menschen ausgesprochen werden. Hinzu kämen Hassappelle, die zu Polizeischutz für Mandatsträger führten. „Es gibt reale Gefahren“, sagt Runge. „Aus diesen Gründen haben mir Menschen geraten, die Privatadresse nicht zu veröffentlichen.“
Den Urheber des Einspruchs Michael Schwarz kenne er schon „viele Jahre“, sagt Runge. „Das zweifelhafte Vorgehen wird ihm nicht gerecht. Ich empfehle ihm und appelliere an ihn, seine Beweggründe und seine Entscheidung noch einmal zu überdenken.“
Mit ernster Miene verlässt Runge den Saal. Keine Viertelstunde später trifft er vor dem Haus der Kunst auf die Ratsmitglieder. Runge hat ein breites Lächeln im Gesicht. Dass seine Wahl gültig ist, daran gibt es im Rund überhaupt keinen Zweifel. In der Vorlage, der die Stadtverordneten ohne Gegenstimme zustimmen, wird das wie folgt hergeleitet: Entscheidend sei, ob die Verwendung der dienstlichen Kontaktdaten dazu geführt habe, dass die Verwaltung ihre Neutralität aufgegeben und die Kandidatur unterstützt habe. War das der Fall? Die Antwort, die auf mehreren eng beschriebenen Seiten formaljuristisch ausgeführt wird, lautet ganz einfach: nein. Ob alles sauber war? Selbstverständlich, sagen alle. Dafür werden weder Diskussion noch Debatte benötigt.
Dieser Artikel wurde von Hendrik Geisler – Kölner Stadtanzeiger verfasst. Foto: Ralf Krieger