„Seit wann heizt du schon?“ Energie-Preise und Inflation erreichen die Familien in der Region.
Wie gehen sie damit um?
Energie-Preise, Inflation, der Krieg in der Ukraine, Corona – nichts davon haben die meisten Menschen kommen sehen. Einige reiben sich erstaunt die Augen, weil ihre Gefühls- und ihre finanzielle Lage plötzlich anders aussieht.
Das geht auch den Familien aus dem Bergischen Land und in Leverkusen so, die in Kontakt mit der Katholischen Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg stehen. Grund genug, einmal nachzufragen, wie sie damit umgehen.
Auswirkungen von Corona und Energiekrise sind an vielen Stellen spürbar
Nicole Wittmann leitet für die Katholische Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg das Burscheider Büdchen. Dieses Büdchen ist in Wirklichkeit längst kein Kiosk mehr, sondern eine erste Anlaufstelle für alle Fragen des Lebens.
Hierher kommen zum Beispiel Menschen mit Briefen vom Amt, die sie nicht verstehen. Oft ergeben sich anschließend in dem gemütlichen Raum am großen Holztisch Gespräche, die mehrere Probleme erkennen lassen. Dann geht Wittmann diese Probleme gemeinsam mit ihren Besuchern an. Sie ist es gewohnt, Struktur in Lebensumstände zu bringen. Aber auch sie erlebt, wie herausfordernd diese Zeiten sind.
„Weltweit Corona plus Inflation, das hat so schnelle Auswirkungen in allen möglichen Bereichen nach sich gezogen. Die hat man gar nicht mitbekommen, wenn man nicht gerade vom Fach ist“, erzählt sie. Das Fachgebiet, an das sie gerade denkt, ist der Gebrauchtwagenmarkt.
Wittmann berichtet von einer Familie, deren Auto vor im Herbst kaputtging. Der Familienvater benötige den Wagen dringend für seinen Job. Die Werkstatt habe davon abgeraten, den Wagen noch einmal zu reparieren. „Als der Mann dann beim Gebrauchtwagenhändler war, ist er aus allen Wolken gefallen“, so Wittmann. Es seien entweder gar keine Autos zu bekommen gewesen oder nur einzelne extrem teure.
Dafür haben die weltumspannenden Ereignisse der letzten beiden Jahre und Monate gesorgt. Die Lieferengpässe bei Neuwagen durch Corona, gestiegene Preise durch die Inflation und eine verhaltene Stimmungslage aufgrund des Ukrainekriegs haben viele Käufer auf Gebrauchtwagen umsteigen lassen. „Wenn man nicht gerade Gebrauchtwagenhändler ist, hat man das so schnell doch gar nicht mitbekommen. Jedenfalls haben die wenigsten vor einem Jahr die Einsicht gehabt, dass sie jetzt lieber ihr Auto austauschen sollten“, so Wittmann. Die Familie habe sich notgedrungen für die unrentable Lösung entschieden, den alten Wagen noch einmal reparieren zu lassen.
„Heizt du schon?“
In Leverkusen leitet Svenja Stettes für die Katholische Jugendagentur den Quartierstreff Wiesdorf in Leverkusen. Im Quartierstreff gibt es Krabbelgruppen, Elterncafés, Seniorentreffen oder auch einfach nur ein nettes Gespräch. Unterstützende Hilfestellungen für junge Familien hält Stettes für ihre Besucher ebenfalls bereit.
Heute ist in der Dönhoffstraße 86 im gemütlichen Dachgeschoss der Frühstückstisch gedeckt. Acht Frauen mit ihren Kindern vom Baby- bis Kindergartenalter trudeln zum Eltern-Kind-Frühstück ein. Auf dem langen gedeckten Tisch stehen frische Brötchen, Kaffee und Tee. Die selbst gebackenen Hackfleisch-Röllchen hat eine der acht Mütter mitgebracht, um nachträglich ihren Geburtstag zu feiern.
Genau wie heute seien die Treffen hier ungebrochen fröhlich, beobachtet Stettes. Doch ihrer Einschätzung nach bildet das nicht die ganze Stimmungslage ab: „Es sind trotzdem alle in ihrer Naivität erschüttert von den Ereignissen in den letzten Jahren. Wer hätte letztes Jahr gedacht, dass wir uns heute fragen: ‘Heizt du schon?‘“
Eine kurze Frage in die Runde am Frühstückstisch ergibt, dass drei von fünf Familien sich beim Beheizen ihrer Wohnung in diesem Jahr zurückhalten. So berichtet eine junge Mutter von vier Kindern, sie drehe derzeit nur im Wohnzimmer die Heizung auf. Das Bad, die Schlaf- und Kinderzimmer blieben kühl, es sein denn, es werde wirklich länger in einem Zimmer gespielt.
Eine Wiesdorfer Familie mit zwei Kleinkindern hält es ähnlich, wie die Mutter berichtet: „Ich dusch jetzt nicht kälter und ich friere auch nicht in unserem Wohnzimmer. Die anderen Räume sind ja eh nicht beheizt zurzeit.“ Eine dritte Frau berichtet, dass sie und ihr Mann sich abends mal die Bademäntel drüberziehen und die Heizung runterdrehen, wenn die Kinder schon im Bett sind.
Auch den Start der Heizperiode haben die meisten Familien in diesem Winter bis Ende November herausgezögert. So erzählt die Mutter einer vierköpfigen Familie mit zwei Kleinkindern: „Es war ja noch lange warm. Aber dann war ich total erkältet. Als das nach einer Woche noch nicht wieder weg war, hat mein Mann gesagt: ‘Wir machen jetzt die Heizung an.‘“ Mit einem Kilowattstundenverbrauch von 10.000 kwh für 120 m² pro Jahr lebe die Familie ohnehin energetisch ziemlich sparsam. Die junge Familienmutter erklärt: „Die Heizkostenabrechnung kam im Oktober. Wir mussten nachzahlen, aber nicht viel mehr als 50 Euro. Das war machbar. Aber der Abschlag wurde heraufgesetzt. Da habe ich direkt beim Grundversorger angerufen und konnte in einen kostengünstigeren Kombi-Tarif wechseln. Den Grundversorger wollte ich behalten, denn der kennt uns und ist kulant.“
Langfristige Finanzplanungen geraten ins Wanken
Eine Turnhalle in Bergisch Gladbach, genau gesagt im Hermann-Löns Forum in Gronau. Angelika Schäfer rollt gerade ein paar große Gymnastik-Bälle in den Raum. In den nächsten Minuten wird es hier laut werden, denn gleich kommen Familien mit kleinen Kindern zum Eltern-Kind-Turnen. Schäfer gehört zur Katholischen Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg, die das Gemeindezentrum in Gronau betreibt. Hier gibt es Freizeitangebote für die Nachbarschaft. Dazu bietet die KJA LRO auch Betreuung und Beratung für Kinder, Jugendliche und deren Familien an. Da wären beispielsweise der Jugendmigrationsdienst oder die Kooperation mit dem Jobcenter, das im Haus Sprechstunden unterhält.
„Alle Bewegungs- und Fitnessangebote, die wir hier machen, sind kostenlos. Das ist mir auch ganz wichtig“, erzählt Schäfer: „Ich möchte, dass jeder kommen kann, ohne eine Minute darüber nachzudenken, ob Geld eine Rolle spielt.“ Auch aus diesem Grund sind ihre Kurse gut besucht.
Schäfer hört in letzter Zeit öfter Klagen von ihren Besuchern. „Einige, die finanziell lange auf ein Ziel hingearbeitet haben, fühlen sich überrumpelt“, beobachtet sie. Das bestätigt eine junge Frau, die heute mit ihrer vierjährigen Tochter zum Turnen gekommen ist.
Ihr Mann und sie haben über Jahre Anstrengungen auf sich genommen, um für sich und die drei Kinder einen gewissen Wohlstand aufzubauen, berichtet sie. So sei sie selbst wieder arbeiten gegangen, als ihre Kinder noch sehr klein gewesen seien. Die Familie habe sich gut überlegt, welche Annehmlichkeiten sie sich leiste und sei eher selten in Urlaub gefahren. Stattdessen haben sie und ihr Mann lieber einen Kredit für eine Eigentumswohnung aufgenommen.
Diese Planung der Familie droht zurzeit nicht mehr aufzugehen. Mit Sorge betrachtet die Frau aus Gronau die Preise im Supermarkt: „Eine Packung Mehl hat vor kurzem noch 39 Cent gekostet. Jetzt sind es 99.“ Das Elternpaar hat mit einigermaßen stabilen Preisen und Zinsen gerechnet, als es seinen Wohnkredit aufgenommen hat. Was, wenn es nun jeden Monat so knapp wird, dass der Kredit nicht mehr bedient werden kann? Dann wäre die Familie zwar noch nicht auf staatliche Hilfen angewiesen. Aber die Anstrengungen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre wären umsonst gewesen. „Ich hätte viel mehr chillen können“, zieht die Mutter von drei Kindern ein ernüchtertes Fazit.
Geld ist ein Thema, Gefühle auch
Geld und Sparen sind verstärkt zu einem Thema geworden. „Es ist so, dass nun Familien über knappes Geld sprechen, die bisher klargekommen sind“, ordnet Wittmann ein, was sie in den letzten Monaten erlebt hat.
Eine Nachricht, die viele mit Erleichterung aufgenommen haben, kam Ende November. Laut Stettes haben die Familien positiv auf die Medienmeldung reagiert, dass der Höhepunkt der Inflation nun überschritten sei. Die Preise würden vorerst nicht weiter steigen. Auch die finanziellen Unterstützungen, die der Staat in Sachen Gaspreise auf den Weg gebracht habe, sorgen für ein wenig Entspannung, erzählt sie.
Ob diese Entwicklungen anhalten und wie stark die Familien davon profitieren werden, muss sich erst noch zeigen. Aber neben den finanziellen Unterstützungen hilft laut Angelika Schäfer auch das: „Nicht alleine zu Hause sitzen bleiben. Sondern zu Treffen gehen, Gemeinschaft erleben und etwas zusammen machen.“
Über die Katholische Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg gGmbH
Die Katholische Jugendagentur Leverkusen Rheinberg Oberberg gGmbH (KJA LRO) stärkt junge Menschen im Alter von 0-30 Jahren. Sie ist ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe und gemeinnützig. Sie engagiert sich in ihren über 50 Einrichtungen und Projekten, wie z.B. Jugendzentren, Betreuungsangeboten an Grund- und weiterführenden Schulen, Beratungsstellen oder den Angeboten im Bereich der stationären Jugendhilfe. Durch ihre regionale Ausrichtung möchte die KJA LRO verlässliche und nahbare Ansprechpartnerin vor Ort sein. Ihre Maßnahmen und Projekte konzipiert und realisiert sie daher nach dem, was junge Menschen für ihre Entwicklung brauchen. Dazu beschäftigt sie 400 Mitarbeiter*innen und schätzt die Zusammenarbeit mit vielen engagierten Ehrenamtlichen. Die KJA LRO hat den Anspruch, die christlichen Werte der Humanität und Liebe in ihre Arbeit zu integrieren und im Leben der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen spürbar zu machen.